Vorsicht mit der Strafanzeige

Vgl. auch: http://​cms​.kanz​lei​-mieth​.de/​f​a​q​/​k​a​n​n​-​i​c​h​-​e​i​n​e​-​s​t​r​a​f​a​n​z​e​i​g​e​-​z​u​r​u​e​c​k​z​i​e​h​en/

Vor­sicht mit der Straf­an­zei­ge; ist das nicht eine merk­wür­di­ge Äuße­rung für einen Anwalt?

Nun, ich will nie­man­den davon abhal­ten, sich der Mög­lich­kei­ten des Straf­rechts zu bedie­nen, aber mir fällt immer wie­der auf, dass vie­le die­ses unbe­dacht tun und Gefahr lau­fen, sich mehr selbst zu scha­den als dem Anderen.

Um das Pro­blem zu erläu­tern möch­te ich ein wenig zur Natur des Straf­rechts ausführen:

Das Strafrecht

Das Straf­recht wird häu­fig als “ulti­ma ratio”, das äußers­te oder letz­te Mit­tel, beschrie­ben. Hier­mit wird min­des­tens zwei­er­lei zum Aus­druck gebracht. Zum Einen ist es das letz­te oder här­tes­te Mit­tel Nor­men durch­zu­set­zen, zum Ande­ren ist es das gegen­über dem Bür­ger sei­tens der Sank­tio­nen här­tes­te Mittel.

Normendurchsetzung

Das Recht kennt eini­ge Mög­lich­kei­ten, die Bevöl­ke­rung zur Befol­gung von Nor­men zu moti­vie­ren. Auch wenn es wün­schens­wert ist, so befol­gen wir die­se nicht schon, weil sie exis­tie­ren. Das gilt zumin­dest für mich bspw. im Bereich der Geschwin­dig­keits­be­schrän­kun­gen. Jeden­falls dann, wenn ich die Stre­cke ken­ne und die Beschrän­kung für unsin­nig hal­te. Daher kann mit Hil­fe von Buß­gel­dern, Zwangs­gel­dern, Ersatz­vor­nah­men usw. die Ein­hal­tung der Rechts­ord­nung oder die Her­stel­lung eines recht­mä­ßi­gen Zustan­des erreicht werden.

Beim Straf­recht kommt zu die­ser erwünsch­ten tat­säch­li­chen Wir­kung noch ein wei­te­res Ele­ment. Die­ses wird teil­wei­se auch “sozi­al — ethi­sches — Unwert­ur­teil” genannt. Der Nor­men­bruch ist hier nicht mehr nur rechts­wid­rig, viel­mehr wird dem Täter per­sön­lich vor­ge­wor­fen sich falsch ver­hal­ten zu haben. Das Straf­recht wirkt damit nicht nur nor­men­be­wäh­rend son­dern die Stra­fe hat auch einen Vergeltungscharakter.

Sanktionen

Die regel­mä­ßi­gen Sank­tio­nen im Straf­recht sind Geld­stra­fen und Frei­heits­stra­fen. Die Geld­stra­fen spie­len dabei grund­sätz­lich nur im unte­ren Bereich, dem Äqui­va­lent von bis zu 6 Mona­ten Frei­heits­stra­fen eine Rol­le. Damit unter­schei­den sich Geld­stra­fen auf dem ers­ten Blick nicht wesent­lich von Geld­bu­ßen und kön­nen sich auch im Ergeb­nis in ähn­li­chen Grö­ßen­ord­nun­gen bewe­gen. Die Frei­heits­stra­fe ist hin­ge­gen der schärfs­te unmit­tel­ba­re Ein­griff in die per­sön­li­chen Frei­hei­ten in unse­rem Rechts­sys­tem. Bei­den gemein ist aber eben auch der Vor­wurfs­cha­rak­ter. Die Ver­hän­gung einer Stra­fe wird regis­triert und kann den Zugang zu bestimm­ten gesell­schaft­li­chen Posi­tio­nen, wie dem Beam­ten­tum, verwehren.

Strafverfolgung

Weil das Straf­recht so bedeu­tend ist, sowohl was die Ein­griffs­in­ten­si­tät gegen­über dem Bür­ger, als auch was die Rechts­durch­set­zung angeht (s.o.), ist sei­ne Durch­set­zung streng for­ma­li­siert und in staat­li­cher Hand. Bis auf weni­ge Delik­te obliegt die Durch­set­zung des Straf­an­spru­ches dem Staat. Die­ser nimmt die­se Auf­ga­be aus eige­ner Zustän­dig­keit her­aus wahr. Es bedarf hier­zu grund­sätz­lich nicht des Wil­lens eines Bürgers!

Strafanzeige

Die Straf­an­zei­ge ist nichts ande­res, als die “Inkennt­nis­set­zung” der Straf­ver­fol­gungs­be­hör­de (Staats­an­walt­schaft, Poli­zei, Zoll, …) von tat­säch­li­chen Umstän­den, die es mög­lich erschei­nen las­sen, dass eine Straf­tat began­gen wor­den sei. Heißt: sage ich dem Poli­zei­be­am­ten “Da drü­ben wur­de einer geschla­gen.” ist das eigent­lich schon die Anzei­ge, wenn­gleich die­ser erst die text­li­che Auf­nah­me so bezeich­nen wird.

Die Fol­ge der Straf­an­zei­ge ist, dass die Straf­ver­fol­gungs­be­hör­de nun­mehr von Amts wegen, also auch ohne den Wil­len des Anzei­gen­er­stat­ters, die Straf­tat ver­fol­gen muss (Lega­li­täts­prin­zip).

Strafantrag

Von der Straf­an­zei­ge ist der Straf­an­trag zu unter­schei­den. Bei eini­gen weni­ger “schlim­men” Delik­ten, ins­be­son­de­re mit einer star­ken Bezie­hung zu einer oder weni­gen Per­so­nen wie z.B. einer ein­fa­chen Kör­per­ver­let­zung oder einem Dieb­stahl inner­halb des Haus­hal­tes, ist grund­sätz­lich der Wil­le des Ver­letz­ten erfor­der­lich, um die Straf­tat ver­fol­gen zu kön­nen. Der Straf­an­trag ist eben die­ser zum Aus­druck gebrach­te Wil­le. Die­ser kann auch wie­der zurück­ge­nom­men wer­den und damit ein Straf­ver­fah­ren unter Umstän­den zur Ein­stel­lung gebracht werden.

Risiken

Aber warum ist nun die Erstattung einer Anzeige  ggf. kritisch?

Wie oben gezeigt, ist das Straf­ver­fah­ren, das mit der Anzei­ge aus­ge­löst wird, ein “Selbst­läu­fer”. Ein­mal erstat­tet kann eine Straf­an­zei­ge, anders als der Straf­an­trag, nicht zurück­ge­zo­gen wer­den. Die Straf­ver­fol­gungs­be­hör­de kann schließ­lich nicht wie­der unwis­send wer­den. Sie wird viel­mehr wei­ter alles dar­an set­zen, die Straf­tat und ihre Umstän­de aufzuklären.

Und welche Nachteile soll das haben?

  1. Ein Straf­ver­fah­ren dau­ert häu­fig lange.
    In die­ser Zeit ändern sich Bezie­hun­gen und die Anzei­ge kann zur Belas­tung wer­den, wenn man sich gera­de aus­ge­söhnt hat und nun­mehr gemein­sam vor Gericht steht. Der eine als Ange­klag­ter, der ande­re als Zeuge.
  2. Es gehen Druck­mit­tel verloren.
    Habe ich Inter­es­se, dass der mut­maß­li­che Straf­tä­ter sich mir gegen­über in bestimm­ter Wei­se ver­hält, bspw. mir Scha­dens­er­satz zahlt oder ähn­li­ches, kann eine dro­hen­de Straf­an­zei­ge moti­vie­rend wir­ken. Auch wenn der akti­ve Gebrauch die­ser Dro­hung unter Umstän­den selbst straf­bar sein könn­te, kann das Bewusst­sein für die dro­hen­de Anzei­ge hilf­reich sein. Nach Erstat­tung der Anzei­ge ist die­se Moti­va­ti­ons­hil­fe weit­ge­hend verbraucht.
  3. Nach einer Anzei­ge wird wahr­schein­lich umfas­send aufgeklärt.
    Und das kann auch das Ver­hal­ten des Anzei­gen­er­stat­ters betref­fen. Gera­de bei typi­scher­wei­se wech­sel­sei­ti­gen Ver­hal­ten wie z.B. schla­gen und belei­di­gen ist es nicht sel­ten, dass bei der Auf­klä­rung der ange­zeig­ten Straf­tat von Amts wegen, also ohne Anzei­ge, oder auf Anzei­ge des ange­zeig­ten hin, ein Straf­ver­fah­ren gegen den Anzei­gen­er­stat­ter ein­ge­lei­tet wird.
  4. Eine Straf­an­zei­ge ist grund­sätz­lich nicht anonym.
    Regel­mä­ßig wer­den die Per­so­na­li­en des Anzei­gen­er­stat­ters fest­ge­stellt. Schon weil man ihn noch als Zeu­gen haben möch­te. Der Beschul­dig­te (der­je­ni­ge, gegen den sich das Straf­ver­fah­ren rich­tet) erfährt über eine Akten­ein­sicht sei­nes Ver­tei­di­gers oder im Fal­le einer Haupt­ver­hand­lung vor Gericht wahr­schein­lich wer in ange­zeigt hat.
  5. Eine Anzei­ge hilft häu­fig nicht weiter.
    Mit einer Straf­an­zei­ge geben Sie eine Bestra­fung an den Staat ab. Trotz gele­gent­lich gege­be­ner Betei­li­gungs­mög­lich­kei­ten des Opfers am Straf­pro­zeß, wird die­ser im wesent­li­chen vom Staat geführt. An der Bestra­fung hat das Opfer kei­nen Anteil mehr. Häu­fig erfährt der Anzei­gen­er­stat­ter auch dau­er­haft nichts mehr von dem Ver­fah­ren. Damit hilft das Straf­ver­fah­ren aber für die per­sön­li­che Ver­ar­bei­tung häu­fig nicht wei­ter, son­dern kann sie, wenn der Kon­takt zum mut­maß­li­chen Täter fort­be­steht (oder bestehen muss), belasten.

Schlussbemerkungen

Ich will damit nicht von allen Straf­an­zei­gen abra­ten. Ich hal­te das Straf­recht, auch wenn es kei­ne expe­ri­men­tell-wis­sen­schaft­li­chen Bele­ge gibt, für unab­ding­bar für ein funk­tio­nie­ren­des Rechts­sys­tem. Vie­le Taten kön­nen auch nicht ver­folgt wer­den, wenn sie nicht ange­zeigt wer­den. Die­ses gilt zum Bei­spiel für gewerb­li­chen Betrug, wie im Fal­le von eini­gen “Abo­fal­len”.

Bei eini­gen Taten darf es kein Zögern geben. So gehen bspw. bei Sexu­al­de­lik­ten über die Zeit sehr schnell Spu­ren ver­lo­ren, ohne die ein Tat­nach­weis häu­fig nicht mehr führ­bar ist. Hier kann es nur hei­ßen: sofort zur Poli­zei oder Gerichts­me­di­zin zur Spurensicherung.

Aber all­ge­mein gilt: erst den­ken und dann anzei­gen oder eben nicht! Häu­fig wird es sinn­voll sein, die Ent­schei­dung zu über­schla­fen oder mit einem Drit­ten zu bere­den. Und soll­te Ihnen ein ent­spre­chen­der Rat­ge­ber feh­len, Ihr Anwalt ist prä­de­sti­niert dafür. 😉

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