Kurz gesagt: an sich nein.
Was ist eine Strafanzeige?
Aber warum? Zunächst einmal: Was ist eigentlich eine Strafanzeige?
§ 158 Strafprozessordnung (StPO) kennt im amtlichen Text nur “die Anzeige einer Straftat”.
Es geht hier um das mündliche oder schriftliche zur Kenntnisbringen eines Sachverhalts gegenüber einer zur Strafverfolgung berufenen Stelle, Staatsanwaltschaft, Polizei oder Amtsgericht, der die Verwirklichung eines Straftatbestandes enthalten kann.
Oder salopp ausgedrückt: “Herr Polizist, ich hab gesehen, wie der X dem Y eine rübergehauen hat.”
Die Strafanzeige erfordert also, anders als es auch auf vielen Formularen beispielsweise (bspw.) der Polizei, den Anschein haben mag, keinen bestimmten tiefergehender Vorgang oder ein Formblatt mit Unterschrift, sondern das Vermitteln von tatsächlicher Kenntnis.
Es wird also (zunächst) auch keine rechtlich gestaltende beziehungsweise (bzw.) wirkende Erklärung abgegeben, die zurückgenommen werden könnte.
Warum kann ich mich davon nicht distanzieren?
Was macht nun die Polizei oder die Staatsanwaltschaft mit der Anzeige?
Letztlich werden alle Behörden, die bis zur Anklage am Strafverfahren beteiligt sind, grundsätzlich (grds.) für die Staatsanwaltschaft tätig. Und diese “hat” nun nach § 160 Absatz (Abs.) 1 StPO den Sachverhalt zu erforschen, um entscheiden zu können, ob öffentliche Klage (also die Anklage) erhoben werden soll.
Hier ist zunächst der Wille des Anzeigenden oder auch des Verletzten egal. Die Behörde muss von sich aus tätig werden und bleiben.
Warum kann eine entsprechende Erklärung dennoch Sinn machen?
Die Grundidee in unserem Strafprozessrecht ist das Legalitätsprinzip, dass die Staatsanwaltschaft jeden Straftatverdacht vollständig ausermittelt und bei sogenannter (sog.) überwiegender Verurteilungswahrscheinlichkeit (hinreichender Tatverdacht) Anklage erhebt.
Dies wäre über eine Rücknahmeerklärung oder ähnliches nicht zu vermeiden. Aber auch bei einer Verurteilung könnte für das Strafmaß die Frage, ob denn der Geschädigte überhaupt noch ein Strafbedürfnis habe, entscheidend sein.
Des Weiteren gibt es zwei wichtige hiervon abweichende weitere Faktoren.
Opportunitätsprinzip
Das oben beschriebene Legalitätsprinzip wird durch zahlreiche Vorschriften zur sog. Opportunität durchbrochen. So kann unter verschiedenen Voraussetzungen mit oder ohne Auflagen bspw. nach den §§ 153 ff. StPO ein Strafverfahren auch bei wahrscheinlich schuldhaft begangener Tat ohne Urteil eingestellt werden.
Für die hierfür erforderlichen Entscheidungen und Abwägungen kann das Strafinteresse des Geschädigten wichtig sein.
Antragsdelikte
Des Weiteren gibt es Delikte, die so sehr in der sozialen Beziehung spielen oder so unbedeutend oder regelmäßig sind, dass der Gesetzgeber meint, grundsätzlich braucht sich die Staatsanwaltschaft hiermit nicht zu befassen. Ein Beispiel hierfür ist der “Haus- und Familiendiebstahl”, § 247 Strafgesetzbuch (StGB). Hier ist ein sog. “Strafantrag” , vergleiche (vgl.) §§ 77 ff. StGB, erforderlich. In diesem wird der Wille, regelmäßig des Geschädigten, zum Ausdruck gebracht, dass die Tat verfolgt werden soll. Dieser Wille kann geändert und somit widerrufen, also der Antrag zurückgenommen werden, § 77d Abs. 1 StGB. Bei den sog. “Antragsdelikten” fehlt dann grds. eine “Verfahrensvoraussetzung”, es kann also grds. nicht mehr zu einer Verurteilung kommen. (Allerdings kann häufig der fehlende Antrag durch eine Form des sog. “öffentlichen Interesses” ersetzt werden. Daher lässt sich zumeist das Verfahren so nicht sicher beenden.)
Gelegentlich werden Strafanzeigen auch als Strafantrag ausgelegt und insbesondere auf den Formularen der Polizei wird häufig bei der Aufnahme einer Strafanzeige vermerkt, ob auch Strafantrag gestellt werden soll.
Vorsicht beim Anzeigen!
Es zeigt sich also: wer jemanden anzeigt, tritt damit ein selbständiges Verfahren los, dass er nicht mehr kontrollieren kann.
Vorsicht ist auch vor falschen Anzeigen geboten, hier besteht das Risiko sich selbst strafbar zu machen, bspw. § 164 StGB, und vor vorschnellen Strafanträgen und deren Rücknahme. Zum Einen kann ein zurückgenommener Strafantrag nicht nochmals gestellt werden, § 77d Abs. 1 StGB, zum Anderen droht dem Antragssteller dann auch die Kostentragung, § 470 StPO.
Was also tun?
Wenn Sie sich sicher sind, dass Sie eine Strafverfolgung wollen oder damit leben können, können Sie ruhigen Gewissens bei der Polizei oder anderen entsprechenden Stellen eine Strafanzeige stellen. Sie sollten dabei aber unbedingt strikt bei der Wahrheit bleiben und auch die Inhalte von Gerüchten nicht ungeprüft oder leichtfertig als Tatsachen weitergeben.
Fand jedoch eine mutmaßliche Straftat in Ihrem sozialen Nahfeld statt, so kann es Sinn machen, die Sache erst einmal zu überschlafen.
(ACHTUNG! Dies gilt ggf. nicht, wenn Beweismittel abhanden kommen! Bspw. bei Vergewaltigungen, wo eine zeitnahe medizinische Untersuchung und Dokumentation erforderlich sein kann, wenn die Tat jemals verfolgt werden soll!)
Ist die Tat in komplexere Zusammenhänge eingebunden, wie eine Beziehungskrise, Trennung, regelmäßige Gewalt in der Familie, Nachbarschaftsstreitigkeiten und so weiter, so kann es sinnvoll sein, jemanden Drittes zu Rate zu ziehen und andere Möglichkeiten wie Therapien, Mediation, Wegweisungen usw. auszuloten.